Das Europäische Parlament wird Serbien voraussichtlich auffordern, seine strategische Ausrichtung auf die Europäische Union „ernsthaft unter Beweis zu stellen“. Diese Botschaft findet sich im Berichtsentwurf über das größte Land auf dem Westbalkan, der vom S&D-Abgeordneten Tonino Picula erstellt und heute dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments vorgelegt wurde.
Tonino Picula, sozialdemokratischer Berichterstatter des Europäischen Parlaments für Serbien, sagte:
„Angesichts des Krieges, den Russland weiter gegen die Ukraine führt, und einer zunehmend feindseligen Haltung der USA, die europäische Werte und Normen unterwandert, erwartet die EU von Serbien klare Antworten zur strategischen Ausrichtung des Landes. Serbien ist weiterhin das einzige Land in der Region, das die EU-Sanktionen gegen Russland ablehnt. In dem vorliegenden Bericht fordern wir Belgrad erneut auf, sich den Sanktionen anzuschließen – konsequent und unverzüglich. Autoritäre Akteure auf der Weltbühne wie Russland und China haben klare Interessen auf dem Westbalkan. Serbien muss nun klarstellen, auf welcher Seite das Land steht.
Angesichts der massiven, von Studentenprotesten geprägten inneren Unruhen in Serbien machen wir uns auch ernste Sorgen über einige systemische Probleme, die von den Protestierenden aufgezeigt wurden. Sie fordern Rechenschaftspflicht, institutionelle und finanzielle Transparenz und die Achtung der bürgerlichen Freiheiten. Die Proteste infolge des tödlich verlaufenen Einsturzes eines Vordachs am Bahnhof von Novi Sad stehen unter dem Motto ‚Korruption tötet‘. Der Bericht äußert die Sorge, dass Korruption in vielen Bereichen noch immer weit verbreitet ist. Des Weiteren verurteilen wir die gewaltsamen Angriffe auf friedliche Demonstranten auf das Schärfste.
Insgesamt enthält der Bericht erhebliche Bedenken bezüglich der mangelnden Fortschritte bei der Erfüllung der EU-Beitrittskriterien. In wichtigen Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit, Reform der öffentlichen Verwaltung und Annäherung an die EU-Politik bestehen nach wie vor deutliche Defizite. Es ist unerlässlich, die Unabhängigkeit wichtiger Institutionen, etwa von Medienaufsichtsbehörden wie der Regulierungsbehörde für elektronische Medien, zu gewährleisten. Serbien muss gegen Desinformation vorgehen, vor allem gegen manipulative Anti-EU-Narrative.
Schließlich müssen auch die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo auf ihrem Weg in die EU normalisiert werden. Beide Seiten müssen eine Verschärfung der Spannungen vermeiden und alle Vereinbarungen einhalten, die bislang im Rahmen des von der EU vermittelten Dialogs getroffen wurden. Außerdem muss den Tätern des Terroranschlags in Banjska 2023, darunter Milan Radoičić, den Serbien bisher nicht strafrechtlich verfolgt hat, auf schnellstem Weg der Prozess gemacht werden. Ferner müssen die für den Terroranschlag im Jahr 2024 in Zubin Potok Verantwortlichen unverzüglich vor Gericht gestellt werden. Und schlussendlich muss die EU alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Dialog zwischen Belgrad und Pristina wieder in Gang zu setzen.“
Elio Di Rupo, S&D-Verhandlungsführer für den Kosovo, fügte hinzu:
„Die klare strategische geopolitische Ausrichtung des Kosovo und seine stetige Annäherung an die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, zu der auch die entschiedene Verurteilung des russischen Krieges gegen die Ukraine zählt, stehen im krassen Gegensatz zu Serbien und sind daher lobend zu erwähnen. Die Zukunft des Kosovo liegt in der EU, was eindeutig im Interesse beider Seiten ist, insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Konkurrenz mit autoritären Regimen.
In unserem diesjährigen Bericht fordern wir daher die sofortige Aufhebung der ungerechtfertigten EU-Maßnahmen gegen den Kosovo, da sie im Widerspruch zu dessen demonstrativem Bekenntnis zu europäischen Werten und Grundsätzen stehen. Überdies erneuern wir unseren Appell an die EU-Mitgliedstaaten, den Beitrittsantrag des Kosovo voranzutreiben, indem sie den betreffenden Fragebogen umgehend einreichen und eine Stellungnahme zur Begründetheit des Antrags ausarbeiten.
Insgesamt hat der Kosovo bemerkenswerte Fortschritte in den Bereichen Wahlrechtsreform, wirtschaftliche Resilienz und Schutz der Grundrechte erzielt. Einige Herausforderungen bleiben jedoch bestehen, insbesondere was systemische Schwachstellen im Justizwesen, die Medienfreiheit (unter anderem angesichts der stark gestiegenen Zahl an Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten), die Effizienz der öffentlichen Verwaltung und die Digitalisierung im Bereich der öffentlichen Dienste angeht.
In Bezug auf die jüngsten Wahlen – die ersten regulären Parlamentswahlen seit der Unabhängigkeit des Kosovo, bei denen ich als Beobachter vor Ort war – begrüßt der Bericht die Teilnahme der Kosovo-Serben, die sich vor mehr als zwei Jahren aus den kosovarischen Institutionen verabschiedet hatten. Ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter werden dazu ermuntert, sich aktiv am Gesetzgebungsprozess im Kosovo zu beteiligen. Ich sehe der Bildung einer neuen Regierung in Pristina gespannt entgegen.“
Hinweis für die Redaktion:
Nach der heutigen Vorlage der Berichtsentwürfe zu Serbien und dem Kosovo im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments haben die Abgeordneten noch etwas Zeit, um Änderungsanträge einzureichen. Der Ausschuss wird voraussichtlich im April über die Berichte abstimmen, die Abstimmung im Plenum ist für Mai geplant.