Neue Angriffe gegen Ungarns Demokratie: Kommission muss Orban eine letzte Warnung schicken

Die Demokratie in Ungarn sorgt in der Europäischen Union einmal mehr für große Sorgen. Bei einer Anhörung im Ausschuss des Europäischen Parlaments für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres wurde von einer neuen Eskalation der Angriffe auf Grundfreiheiten und die Zivilgesellschaft berichtet, darunter auch Razzien gegen Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich für Minderheitenrechte einsetzen.


Sehen Sie hier den Brief des Kommissars für Menschenrechte (Europarat) an die ungarische Regierung:
https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2564455&SecMode=1&DocId=2164762&Usage=2

 
Die Anhörung des Europäischen Parlaments folgt auf die Veröffentlichung von zwei neuen Berichten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarats, in denen zahlreiche Bedrohungen der Grundrechte, der Medienvielfalt und des politischen Pluralismus aufgezählt werden (siehe unten).

Tanja Fajon, Vizevorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, sagte dazu:

„Die heutige Anhörung hat die dramatischen Auswirkungen der Veränderungen in der legislativen und politischen Landschaft in Ungarn erneut unterstrichen. Medienkonzentration, Schikanen gegen NRO, mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, populistische Rhetorik gegen Minderheiten – all dies sind lediglich einige wenige Beispiele für die Tatsache, dass diese europäische Regierung immer autoritärer wird.

Alles in allem stellt dies eher eine systemische Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit dar als lediglich individuelle Verletzungen der Grundrechte oder Justizirrtümer.“

Die sozialdemokratische Fraktionssprecherin für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, Birgit Sippel, erklärte:

„Jetzt ist es Zeit, zu handeln! Die Kommission muss eine Warnung hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit an Premierminister Viktor Orban und die Regierung schicken und damit einen ernsthaften Dialog über den Gesamtzustand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn beginnen, der zur Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 führen könnte.“

Péter Niedermüller, ungarisches Mitglied der S&D Fraktion, fügte hinzu:

„Die Achtung der europäischen Werte und Gesetze ist keine Option, sondern eine gesetzliche Verpflichtung für jeden Mitgliedsstaat.

Wir müssen ein System einführen, das den Institutionen der Europäischen Union die Macht gibt, zu prüfen und dafür zu sorgen, dass alle Mitgliedsstaaten den europäischen Werten wie Demokratie entsprechen – so wie das bestehende System für Kandidatenländer, die der Europäischen Union beitreten wollen.

Unsere Fraktion und das Europäische Parlament haben wiederholt die Einführung eines derartigen Systems gefordert, das leider noch immer auf den Widerstand des Rats stößt.“


Die wichtigsten Ergebnisse des Berichts des Kommissars für Menschenrechte des Europarates, Nils Muižnieks, nach seinem Besuch in Ungarn vom 1. bis 4. Juli 2014

Medienfreiheit

• „...die bloße Existenz einiger Bestimmungen hat eine abschreckende Wirkung auf die journalistische Freiheit. Das gilt besonders für die gravierenden Sanktionen, einschließlich hoher Geldstrafen, die, auch wenn sie nur selten auferlegt werden, einige Medien zur Selbstzensur gezwungen zu haben scheinen.
• „Die weitreichenden administrativen Regelungsbefugnisse des Medienrates bleiben in Bezug auf Medieninhalte problematisch. (...) hält fest, dass die politische Konstellation in Ungarn, gekennzeichnet durch eine dominante Mehrheit, in Verbindung mit den weitreichenden Befugnissen dieses Gremiums zur Tatsache führt, dass der Medienrat nicht als unabhängig von politischer Einflussnahme und Kontrolle angesehen wird.“
• „Der Kommissar ist auch besorgt über die zunehmende Bedrohung der Medienvielfalt. Er sieht Maßnahmen wie die Besteuerung von Werbeeinnahmen und Beschränkungen bei politischer Werbung als weitere Versuche, die Medienfreiheit in dem Land zu beschneiden.“
• „Zu guter Letzt bedauert der Kommissar, dass die ungarischen Behörden die Strafrechtsreform nicht als Gelegenheit zur Entkriminalisierung der Diffamierung genutzt haben. Im Gegenteil, die strafrechtliche Regelung der Verleumdung wurde kürzlich noch verschärft, und die damit verbundenen Sanktionen wurden erhöht.“

Der Kampf gegen Intoleranz und Diskriminierung

• „Der Kommissar ist besorgt über die Verschlechterung der Lage in Bezug auf Rassismus und Intoleranz in Ungarn, wobei Romafeindlichkeit die krasseste Form der Intoleranz darstellt, wie unverkennbar brutale Kundgebungen veranschaulicht haben...“
• Obwohl die ungarischen Behörden antisemitische Reden verurteilen, ist Antisemitismus ein immer wiederkehrendes Problem, das sich durch Hassreden und Gewalttätigkeiten gegen jüdische Personen oder jüdisches Eigentum manifestiert. Ebenso besorgniserregend ist der zunehmende Einfluss extremistischer Rhetorik auf den Diskurs der offiziellen Politik und der Gesellschaft insgesamt.“
• „Die miserablen Wohnverhältnisse vieler Roma, die in Substandardwohnungen in abgesonderten Siedlungen leben, und die diskriminierenden Auswirkungen einiger Maßnahmen, die auf lokaler Ebene beschlossen wurden, sollten ebenfalls als vordringliche Angelegenheit behandelt werden.“
• „Der Kommissar ist besorgt über Versuche, Gesetzesvorschriften zur Kriminalisierung der „Förderung“ der Homosexualität einzuführen und die jährliche Gay-Pride-Parade im März 2011 und 2012 zu verbieten.“

Menschenrechte von Einwanderern, Asylbewerbern und Flüchtlingen

• „(...) Der Kommissar ist weiterhin besorgt über die seltene Nutzung von Alternativen zum Freiheitsentzug in der Praxis, die Willkürlichkeit, die das System des Gewahrsams für Asylwerber kennzeichnet, und das Fehlen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes.“
• „Ein weiterer Anlass zu ernster Besorgnis ist für den Kommissar die Ingewahrsamnahme von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden, obwohl dies gesetzlich verboten ist.“

Der vollständige Bericht:
https://wcd.coe.int/com.instranet.InstraServlet?command=com.instranet.CmdBlobGet&InstranetImage=2662996&SecMode=1&DocId=2218468&Usage=2


Die wichtigsten Ergebnisse des Abschlussberichts der beschränkten Wahlbeobachtungsmission von OSZE/BDIMR für die ungarischen Parlamentswahlen, 6. April 2014

- 11. Juli 2014 -

• „Die große Regierungspartei genoss einen unzulässigen Vorteil aufgrund der restriktiven Wahlkampfregelungen, einseitiger Medienberichterstattung und Wahlkampfaktivitäten, die die Trennung zwischen politischer Partei und Staat verwischten.“
• „(...) eine Reihe von wichtigen Änderungen wirkte sich negativ auf den Wahlvorgang aus, darunter die Beseitigung wichtiger Kontrollmechanismen. Eine neue Verfassung und eine große Zahl grundlegender Gesetze einschließlich des Wahlrechts wurden mittels Verfahren beschlossen, die das Erfordernis einer öffentlichen Konsultation umgingen. Das hat die Unterstützung für den Reformprozess und das diesbezügliche Vertrauen untergraben.“
• „Wesentliche Elemente des Wahlsystems wurden verändert, darunter Bestimmungen über die Übertragung der überzähligen Stimmen der siegreichen Kandidaten in jedem Wahlkreis an Parteien, die am nationalen, proportionalen Wettstreit teilnehmen. Diese Änderung alleine ergab sechs zusätzliche Sitze für das Bündnis zwischen Fidesz-Ungarische Bürgerunion und KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei).“
• „ (...) Im aktuellen politischen Kontext führte das Verfahren der Ernennung der Wahlbehörde dazu, dass viele Gesprächspartner der OSZE/BDIMR-Wahlbeobachtungsmission fehlendes Vertrauen an die Unparteilichkeit dieser Behörde zum Ausdruck brachten.“
• „Die Änderungen am Gesetz über die ungarische Staatsangehörigkeit im Jahr 2010 gaben vielen im Ausland lebenden Ungarn die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Gleichzeitig ermöglichten Änderungen am Wahlrecht Staatsbürgern ohne ständigen Wohnsitz in Ungarn die Teilnahme an der Wahl. Unterschiedliche Registrierungs- und Wahlverfahren für Auslandswähler, die davon abhingen, ob man einen ständigen Wohnsitz in Ungarn hatte, unterminierten das Prinzip des gleichen Wahlrechts und wurden von einer Reihe von Gesprächspartnern der OSZE/BDIMR-Wahlbeobachtungsmission als Versuch empfunden, auf der Grundlage der Parteipräferenz Unterschiede beim Stimmrecht zu machen.“
• „Die Verwendung von staatlichen Anzeigen, die fast identisch mit jenen von Fidesz waren, trug zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen bei und missachtete die Trennung von Partei und Staat...“
• „Die Tatsache, dass immer mehr Medienunternehmen in das Eigentum von Geschäftsleuten übergehen, die direkt oder angeblich indirekt mit Fidesz verbunden sind, und die Vergabe von staatlichen Werbeaufträgen an gewisse Medien unterminierten die Vielfalt des Medienmarktes und verstärkten die Selbstzensur unter den Journalisten. Die sehr begrenzte kostenlose Sendezeit für Kandidaten und das Fehlen bezahlter politischer Anzeigen im landesweiten Privatfernsehen behinderten die Möglichkeiten der Kandidaten, Wahlkampf über die Medien zu machen...“
• „Die Ergebnisse der OSZE/BDIMR-Medienbeobachtung haben gezeigt, dass drei von fünf beobachteten Fernsehsendern eine signifikante Voreingenommenheit zugunsten von Fidesz zeigten, indem sie über den beinahe gesamten Fidesz-Wahlkampf in einem positiven Ton berichteten, während mehr als die Hälfte der Berichterstattung über das Oppositionsbündnis in einem negativen Ton erfolgte.“

Der vollständige Bericht:
http://www.osce.org/odihr/elections/hungary/121098?download=true

Beteiligte Abgeordnete
Koordinatorin, Mitglied
Deutschland