Die Sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament begrüßt die heutige Veröffentlichung des ersten EU-weiten Berichts zur Rechtsstaatlichkeit durch die Europäische Kommission als ein zusätzliches Instrument, um Mängel zum frühestmöglichen Zeitpunkt in allen EU-Mitgliedsstaaten zu erkennen. Nichtsdestotrotz bekräftigen wir unsere Forderung nach einem effizienten Instrument zur Verteidigung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Europa, zumal trotz des gegen Polen und Ungarn eingeleiteten Artikel-7-Verfahrens die Regierungen dieser beiden Länder ihren antidemokratischen Weg ungehemmt fortsetzen.

Kati Piri, für Außenpolitik zuständige Vizevorsitzende der S&D Fraktion, sagte dazu:

„Der neue jährliche Kommissionbericht zur Rechtsstaatlichkeit zeichnet ein deprimierendes Bild von der Lage der Demokratie und der Grundrechte in Europa. Er erzählt die Geschichte von Richterinnen und Richtern, die entlassen werden, weil sie sich für die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz einsetzen; er erzählt die Geschichte von Journalistinnen und Journalisten, die misshandelt und schikaniert werden, weil sie versuchen, die Wahrheit zu berichten; und er erzählt die Geschichte von Betrug und Korruption auf höchster Regierungsebene. Diese Geschichte ist aber nicht neu. Ein Artikel-7-Verfahren wurde gegen die Regierungen in Polen und Ungarn eingeleitet, wo wir immer und immer wieder anhaltende und systemische Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte erleben.

Aber seien wir ehrlich: Das Artikel-7-Verfahren hat bisher bei keiner der beiden Regierungen funktioniert. Es hat nicht nur keinerlei Fortschritte gebracht, sondern beide Regierungen beschließen nach wie vor Maßnahmen, die die Demokratie drastisch unterminieren. Wir können Orbán und Kaczyński nicht länger erlauben, weiter völlig ungestraft zu agieren. Das ist ein weiterer Grund, warum wir hart kämpfen müssen, um einen starken und wirksamen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus einzurichten, der mit dem EU-Budget verknüpft ist. Der jüngste Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft ist unzureichend.“

Birgit Sippel, sozialdemokratische Fraktionssprecherin für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, sagte:

„Der Rechtsstaatlichkeitsbericht 2020 der EU-Kommission ist ein guter erster Schritt zur Schaffung eines wirksamen Instruments, um die Verbreitung einer undemokratischen Krankheit in ganz Europa zu stoppen. Wir anerkennen den Nutzen der Einführung eines vorbeugenden Ansatzes auf EU-Ebene, um bei der Feststellung von Mängeln in Bezug auf die gemeinsamen europäischen Werte zu helfen, einen ständigen Dialog auf allen Ebenen in der EU zu fördern und die Situation in allen EU-Mitgliedsstaaten gleichermaßen zu beurteilen. Damit können Orbán und Kaczyński nicht mehr jammern, dass sie zu Unrecht kritisiert werden.

Wir als Europäisches Parlament fordern jedoch schon seit Jahren einen viel breiteren EU-Mechanismus, der sich nicht nur auf die Rechtsstaatlichkeit konzentriert, sondern auch den Schutz der Grundrechte und den Zustand der Demokratie als Ganzes berücksichtigt, auf der Grundlage einer Überwachung aller Mitgliedsstaaten durch ein unabhängiges Expertengremium und mit umfassender Beteiligung der Zivilgesellschaft. Ein jährlicher Kommissionsbericht, der auf die institutionellen Aspekte beschränkt ist, wäre sinnlos – vor allem, wenn die Berichte zu keinen konkreten Empfehlungen an die einzelnen Mitgliedsstaaten führen.

Damit dieses neue vorbeugende Instrument in den Augen der Bürgerinnen und Bürger, deren Grundrechte wir zu schützen versuchen, Glaubwürdigkeit besitzt, müssen sie wissen, dass die EU den Mut hat, zu handeln, wenn es einen systemischen und anhaltenden Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit, die Demokratie und die Grundrechte gibt. Polen und Ungarn setzen trotz des Artikel-7-Verfahrens ihren antidemokratischen Weg seit Jahren ungehemmt fort. Und der Kommissionsbericht beweist, dass die Krankheit sich weiterverbreitet, mit besorgniserregenden Entwicklungen in anderen Ländern wie Bulgarien und Slowenien. Das macht einen starken und wirksamen Konditionalitätsmechanismus im Fall von generellen Defiziten bei der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten noch dringlicher. Über diesen Mechanismus wird derzeit im Rahmen der laufenden Debatten über den Mehrjährigen Finanzrahmen verhandelt.“

Beteiligte Abgeordnete
Koordinatorin
Deutschland
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