S&D Fraktion fordert unabhängige Untersuchung der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl und Aussetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

Die Sozialdemokratische Fraktion erneuerte in der heutigen Mini-Plenartagung des Europäischen Parlaments in Brüssel ihre Forderung an den Europäischen Rat, die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei auszusetzen, sobald die 18 Verfassungsänderungen umgesetzt sind. Die Sozialdemokraten forderten außerdem eine unabhängige Untersuchung der Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in der Türkei, weil nicht abgestempelte Stimmzettel für gültig erklärt wurden.

Die Europaabgeordneten diskutierten mit EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn über die Zukunft der EU-Türkei-Beziehungen in Anbetracht des Verfassungsreferendums, das am 16. April in der Türkei stattgefunden hat. Das Ergebnis der Volksabstimmung markiert ein autoritäres Abdriften, indem es dem amtierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sehr weitreichende Befugnisse gibt, die die Gewaltenteilung faktisch aufheben.

 

Die sozialdemokratische Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments Kati Piri erklärte dazu:

 

„In den letzten Jahren haben wir gesehen, wie die Türkei immer weiter von den demokratischen Werten abgedriftet ist. Mit der Einführung der neuen Verfassungsänderungen wird es keinen Sinn mehr haben, die Beitrittsverhandlungen mit der derzeitigen türkischen Regierung fortzuführen.

Ein Land mit einer solchen Verfassung kann nicht EU-Mitglied werden. Ich fordere daher die EU-Staats- und Regierungschefs auf, die Beitrittsgespräche offiziell auszusetzen, falls die neue Verfassung und alle Änderungen unverändert umgesetzt werden.

Die Türkei ist ein wichtiges Nachbarland, das wir nicht ignorieren können. Daher wird die Zusammenarbeit in Bereichen wie Handel, Terrorismusbekämpfung, Migration und bei unseren gemeinsamen Bemühungen zur Beendigung des Kriegs in Syrien weitergehen. Das kann aber keine wertfreie Beziehung sein, wo Menschenrechte und Demokratie nicht mehr wichtig sind. Um dies zu erreichen, können wir die wirtschaftliche Macht der EU als Hebel benutzen.“

 

Der Vizevorsitzende der S&D Fraktion Victor Boştinaru sagte:

 

„Dieses Referendum und die jüngsten Entwicklungen in der türkischen Politik werfen alle wichtigen Schritte über den Haufen, die das Land bei seinem Modernisierungs- und Demokratisierungsprozess gemacht hat.

Ich persönlich bin sehr beunruhigt über den Weg, den die Türkei einschlägt, da das Ergebnis der Volksabstimmung die Spaltung der türkischen Gesellschaft nur weiter vertiefen kann. Nichtsdestotrotz ist der Ausweg aus dieser Lage in der Hand des türkischen Volkes, das die Sozialdemokraten immer unterstützen werden.

Der monatelange Wahlkampf vor dieser Abstimmung kann weder als fair noch als frei betrachtet werden. Die Opposition und die internationalen Beobachter vor Ort haben Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung selbst aufgezeigt, die untersucht werden müssen.

Auch die Europäische Union hat Fehler gegenüber ihrem türkischen Partner gemacht. Es ist wichtig, das anzuerkennen.

Für welche Form der Partnerschaft und der Beziehungen auch immer die EU und die Türkei sich in Zukunft entscheiden, die strategische Notwendigkeit für beide Seiten, weiterhin auf vielen Ebenen zusammenzuarbeiten, muss dabei berücksichtigt werden. Wir müssen einen gegenseitig nutzbringenden und konstruktiven Dialog weiterführen.“

 

Die stellvertretende S&D Fraktionsvorsitzende Elena Valenciano fügte hinzu:

 

„Mit dieser Verfassungsreform entfernt Erdoğan  die Türkei weiter von der Europäischen Union. Jetzt ist es äußerst schwierig, für den EU-Beitritt der Türkei einzutreten, da die gemeinsamen Werte – Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz, Abgrenzung zwischen der Exekutive und der Legislative – schwer geschädigt worden sind.

Dennoch kann die EU nicht aufgeben, die Demokratie in der Türkei zu fördern, so wie sie auch nicht aufgeben kann, die Demokratie überall in unserer Nachbarschaft zu fördern. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir jene Hälfte der türkischen Bevölkerung unterstützen können, die trotz des schwierigen politischen Umfelds die Reform nicht akzeptiert und dadurch ihr Bekenntnis zur Demokratie und zu den europäischen Werten bekräftigt hat.“