Die Sozialdemokratische Fraktion legt heute dem Europäischen Parlament in Straßburg zwei Berichte über Vorschriften zum Mehrwertsteuersystem in Europa vor. Nach dem heutigen Ratsbeschluss und vor der Plenardebatte fordert die S&D Fraktion einen Übergang zu einem endgültigen Mehrwertsteuersystem, das einheitlich, einfach und flexibel ist. Die neuen Bestimmungen sollen Ad-hoc-Ausnahmeregelungen beenden und eine Eindämmung des grenzübergreifenden Mehrwertsteuerbetrugs um 41 Milliarden Euro sowie eine Verringerung der Kosten, die den Unternehmen durch die Befolgung der Rechtsvorschriften entstehen, um eine Milliarde Euro bewirken.

 

Der Vizevorsitzende der S&D Fraktion, Berichterstatter für den Steuersonderausschuss TAX3 und Verfasser des Mehrwertsteuersystem-Berichts, Jeppe Kofod, sagte dazu:

„Allein im Jahr 2016 gingen in der EU fast 150 Milliarden Euro an Mehrwertsteuereinnahmen verloren. Das ist so viel wie der gesamte jährliche EU-Haushalt. Das zeigt eindeutig, dass das Mehrwertsteuersystem in Europa seine Belastungsgrenze erreicht hat. Europa braucht dringend eine umfassende Reform des aktuellen Systems, um Mehrwertsteuerbetrug zu bekämpfen.

Durch die Annahme der Eckpfeiler für ein endgültiges EU-Mehrwertsteuersystem einschließlich der provisorischen Lösungen und der Einführung des Konzepts des zertifizierten Steuerpflichtigen ergreifen wir nach 25 Jahren endliche entschieden Maßnahmen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs.

Indem wir Unternehmen ermöglichen, bei ihrer nationalen Steuerbehörde den Antrag zu stellen, ein zertifizierter Steuerpflichtiger zu werden, stellen wir sicher, dass nur zuverlässige Steuerpflichtige Zugang zu vereinfachten Verwaltungsverfahren für die grenzüberschreitende Mehrwertsteuer erhalten. Was die heute im Rat vereinbarten vier provisorischen Lösungen für das aktuelle EU-Mehrwertsteuersystem anbelangt, sind wir der Überzeugung, dass sie nur Unternehmen zugänglich gemacht werden sollten, die den Status des zertifizierten Steuerpflichtigen erhalten haben, um neue Schlupflöcher für möglichen grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug zu vermeiden.

Wir fordern die Mitgliedstaaten im Rat auf, die vom Parlament angenommenen Vorschläge ohne Verzögerung uneingeschränkt umzusetzen, damit der Verwaltungsaufwand der europäischen Unternehmen und insbesondere der Klein- und Mittelbetriebe verringert und die schockierend große Mehrwertsteuerlücke in der EU geschlossen werden kann.“

 

Der sozialdemokratische Berichterstatter des Europaparlaments für die Mehrwertsteuersätze, Tibor Szanyi, sagte:

„Wir unterstützen den Vorschlag der EU-Kommission, zu gewährleisten, dass der gewogene mittlere Mehrwertsteuersatz über 12% liegt, und den Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität bei der Festsetzung der Mehrwertsteuersätze einzuräumen. Das entspricht der Strategie der Sozialdemokratischen Fraktion zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung.

Mehr Freiheit geht Hand in Hand mit Verantwortung und Einhaltung der Regeln. Es ist wichtig, dass die Mitgliedsstaaten ein einheitliches Regelwerk mit fixen Mindest- und Höchstsätzen – 15% bzw. 25% - anwenden. Reduzierte Sätze und Ausnahmen sollten aber nur für Produkte gelten, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern sozialen, ökologischen oder kulturellen Nutzen bringen.

Wir wollen dafür sorgen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen von einfacheren Rahmenbedingungen profitieren können, die ihre Entwicklung unterstützen. Zu diesem Zweck haben wir die Kommission aufgefordert, ein Online-Portal zu entwickeln, wo Unternehmen unabhängig von ihrem Standort einfach auf Informationen über Mehrwertsteuersätze verschiedener Produkte zugreifen können.“

 

Die Wirtschafts- und Währungssprecherin der S&D Fraktion, Pervenche Berès, ergänzte:

„Wir begrüßen die heutige Einigung im Rat. Sie anerkennt die Notwendigkeit, zu einem starken, harmonisierten und endgültigen Mehrwertsteuersystem überzugehen, ein System, das wir Sozialdemokraten schon seit Jahren fordern. Die provisorischen Lösungen würden die aktuellen Probleme mit der Mehrwertsteuer vorübergehend lösen, solange alle Mitgliedsstaaten sich daran halten. Die bereits bestehenden Maßnahmen für einen besseren Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden sind entscheidend für die Bekämpfung des grenzüberschreitenden Betrugs.

Das reicht aber nicht, und die vorgeschlagenen Maßnahmen für Mehrwertsteuersätze und zur Vermeidung von Mehrwertsteuerbetrug sind der Schlüssel zu einem europäischen, harmonisierten einfachen und flexiblen Mehrwertsteuersystem, das langfristig tragfähig ist. Der Verlust von 150 Milliarden Euro jährlich aus den nationalen Haushalten ist inakzeptabel. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger können nicht länger auf Steuergerechtigkeit in Europa warten.“

 

Hinweis für die Redaktion:

  • Mehrwertsteuerlücke bezieht sich auf die Differenz zwischen dem erwarteten Mehrwertsteuereinkommen und dem tatsächlich eingenommenen Betrag.
  • Die Gründe für den Einnahmenverlust: Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sowie Konkurse, finanzielle Insolvenzen oder Fehleinschätzungen.
  • 2015 betrug die EU-weit entgangene Mehrwertsteuer 151,1 Milliarden Euro, d.h. 13,2% der gesamten erwarteten Mehrwertsteuereinnahmen. 2016 fiel diese Zahl auf 147,1 Milliarden Euro, was 12,3% der erwarteten Mehrwertsteuereinnahmen entspricht.
  • Die Mehrwertsteuerlücke ist von einem Staat zum anderen sehr unterschiedlich. 2016 nahm sie in 22 Mitgliedsstaaten ab, vor allem in Bulgarien, Lettland, Zypern und den Niederlanden. In sechs Mitgliedsstaaten – Rumänien, Finnland, Großbritannien, Irland, Estland und Frankreich – ging sie hingegen auseinander.