Fast neun Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise bleibt die Erholung der europäischen Wirtschaft flüchtig und außerstande, die Arbeitslosigkeit wesentlich zu verringern oder die zunehmenden Ungleichheiten zu resorbieren. Das besagt der neue unabhängige Jahreswachstumsbericht (iAGS)*, der heute veröffentlicht worden ist.

In ihrem Bericht sagen die Experten eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in der EU in den Jahren 2017 und 2018 voraus, wobei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1,6% bzw. 1,5% erreichen wird (2016: 1,6%).

Um die wirtschaftlichen Aussichten Europas zu verbessern, empfehlen die Fachleute eine expansivere Fiskalpolitik, die vor allem auf einer goldenen Regel für öffentliche Investitionen und einer modifizierten Ausgabenregel basiert. Sie argumentieren, dass der gesamtwirtschaftliche finanzpolitische Kurs für den Euroraum im Jahr 2017 neutral wäre, wenn die Wirtschaftspolitik einzig auf der Basis der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts durchgeführt wird. Um das Wachstum zu stärken, müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten die öffentlichen Investitionen steigern.

Der Bericht hebt außerdem hervor, dass eine ‚wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik‘ notwendig, aber nicht ausreichend ist, um gesellschaftlichen Fortschritt und individuelles Wohlbefinden zu erlangen. Die politischen Entscheidungsträger müssen über die vorherrschende enge Ausrichtung am BIP-Wachstum hinausgehen und stattdessen eine breitere Palette wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Ziele anpeilen.

Die für Wirtschafts- und Währungsfragen zuständige Vizevorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Maria João Rodrigues, sagte dazu:

„Der unabhängige Jahreswachstumsbericht 2017 bestätigt, dass stärkere öffentliche Investitionen eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der Beschäftigung und der Verbesserung des Wohlergehens unserer Bürgerinnen und Bürger spielen können.
 
Wir begrüßen die Bemühungen, die die EU-Kommission letzte Woche an den Tag gelegt hat, um die Wirtschaftspolitik an die echten wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse Europas anzupassen. Tatsächlich hat die Kommission das befolgt, was unsere iAGS-Experten und die Sozialdemokratische Fraktion seit langem vertreten: Der Euroraum ist eine große Volkswirtschaft und muss eine gemeinsame Haushaltsposition festlegen, die das Wachstum unterstützt und gesunde öffentliche Finanzen gewährleistet.

Der Abbau alter öffentlicher und privater Schulden wird für Europa viel einfacher werden, wenn wir ein höheres Wachstum erreichen. Dafür brauchen wir aber höhere Investitionen und mehr Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer Ungleichheiten.“

Die S&D Fraktionssprecherin für Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten, Pervenche Berès, fügte hinzu:

„Das Ergebnis des unabhängigen Jahreswachstumsberichts 2017 ruft zahlreiche Sorgen hervor. Einige unserer orthodoxesten EU-Finanzminister sollten dieses Dokument lesen. Es ist klar, dass die europäische Wirtschaft sich von der Finanzkrise 2008 noch nicht vollständig erholt hat.

Wie unsere Experten zutreffend aufzeigen, hat die expansive Geldpolitik jetzt ihre Grenzen erreicht.

Wir müssen alle erforderlichen Maßnahmen aktivieren, um sicherzustellen, dass die Mitgliedsstaaten die Erholung unterstützen und nicht erschweren. Dazu zählen insbesondere die möglichst baldige Aktualisierung des Juncker-Investitionsplans und die Beschäftigung mit notleidenden Krediten.

Wir wollen eine neue Generation von Strukturreformen, die das menschliche Kapital fördern, Investitionen unterstützen und Ungleichheiten wirksamer bekämpfen.

Wir brauchen eine Haushaltskapazität für die Eurozone, und wir müssen das Werkzeug für die Wirtschafts- und Währungsunion erhalten, um die Bedürfnisse der Eurozone effektiv zu befriedigen.“

Der sozialdemokratische Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Alfred Sant, fügte hinzu:

„Die aktuelle Wirtschaftslage in der Europäischen Union zeigt, dass stärkere Anstrengungen zur Ankurbelung der öffentlichen und privaten Investitionen notwendig sind. Mehr öffentliche Investitionen schaffen einen stärkeren Konjunkturoptimismus, der wiederum die private Investitionstätigkeit anregt. Daher ist es Zeit, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu aktualisieren, um Investitionen in der ganzen EU zu erleichtern.“

* Der unabhängige Jahreswachstumsbericht wird jedes Jahr von renommierten Wirtschaftsinstituten erstellt. An dieser fünften Auflage (iAGS 2017) wirkten Experten der folgenden vier Institute mit: AK Wien (Österreich), ECLM (Dänemark), IMK (Deutschland) und OFCE (Frankreich). Der iAGS wird präsentiert von Progressive Economy, einer Initiative der S&D Fraktion im Europäischen Parlament, und soll eine wirklich öffentliche und fundierte Debatte über die Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik auf nationaler, europäischer und globaler Ebene anstoßen und progressives Denken auf der akademischen und politischen Ebene aktiv fördern.

 

Beteiligte Abgeordnete
Delegationsleiter
Mitglied
Malta